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Gastbeitrag: Gedanken über die Vor- und Nachteile von personalisiertem Online-Marketing macht sich Hartmut Deiwick.
Foto: Hartmut Deiwick Der Autor Hartmut Deiwick ist Managing Director und CEO der Digitalagentur Löwenstark Online-Marketing Personalisierte Werbung bietet Unternehmen vielfältige Möglichkeiten, um Zielgruppen besser kennenzulernen und ihre Produktangebote individuell auf das Verhalten und die potenziellen Bedürfnisse der Nutzer zuzuschneiden. Dem User wird dadurch allerdings oftmals ein Gefühl von Überwachung und Datenmissbrauch vermittelt. Einige Marketingverantwortliche und Plattformen experimentieren im Zuge dessen aktuell mit einer „Depersonalisierungsstrategie“. Was sind die Vor- und Nachteile von personalisiertem Online-Marketing? Und hat der Trend „Depersonalisierung“ überhaupt eine Zukunft?
Cookies, Browser- und Geräte-Identifizierung, historische Suchanfragen: Die individuellen Interessen, Bedürfnisse und Verhaltensmuster im Netz, die mithilfe von Machine Learning ermittelt werden, bilden die Grundlage für personalisierte Werbeanzeigen. Ein auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtetes Targeting ermöglicht es Online-Händlern, genau die Interessenten anzusprechen, die sich bereits in einer fortgeschrittenen Phase der Customer Journey befinden – ein seit Jahren erfolgreicher Marketingtrend und -Treiber. Zur Gewinnung und Bindung dieser potenziellen Kunden bietet personalisierte Online-Werbung unterschiedliche Methoden: So können Anzeigen unter anderem auf Webseiten ausgespielt werden, auf denen der gleiche oder ähnlicher Content, der zuvor vom User recherchiert wurde, platziert ist. Außerdem haben Unternehmen durch personalisierte Werbung in Form von Retargeting die Möglichkeit, verlorene Kunden erneut auf ihr Produkt aufmerksam zu machen. Auch Social-Media-Kanäle wie Facebook und Instagram werden immer häufiger für individuelle, auf das Nutzerverhalten zugeschnittene Werbeanzeigen genutzt. Ebenso kann eine Analyse des Nutzerprofils, etwa mithilfe des historischen Kauf- und Surfverhaltens, als Basis für personalisiertes Online-Marketing dienen. Da für die Auswahl der Produkte vorwiegend Algorithmen zuständig sind, geht Personalisierung in der Werbung vor allem mit Automatisierung einher – für viele Unternehmen ein kosteneffizienter Prozess.
Auch für den User selbst kann personalisierte Werbung Vorteile haben: Trotz Bedenkzeit vor dem Kauf gerät das Produkt so nicht in Vergessenheit. Alternativ werden weitere passende Angebote ins Bewusstsein gerufen – ganz ohne aufwendige Recherche. Eine nervige Flut an Informationen und Produkten, die nicht den eigenen Wünschen und Interessen entsprechen, entfällt ebenfalls. In vielen Fällen kann personalisierte Online-Werbung neben einer Steigerung der Long-Tail-Umsätze und Cross-Selling-Potentiale sogar zu einer langfristigen Kundenbindung führen.
Die Kehrseite: Immer mehr Online-Händler überreizen die Personalisierung. Bei der sogenannten Hyperpersonalisierung werden nicht nur individuelle Produktempfehlungen ausgespielt, sondern alle Formen von Kundendaten (z.B. der Standort) genutzt, um zusätzlich etwa Titel und Bilder einer Werbeanzeige oder Webseite zu personalisieren. Das mag in manchen Fällen funktionieren, für viele User geht diese Strategie allerdings mit dem Gefühl des Datenmissbrauchs einher – das Ausmaß an gesammelten Kundendaten sollte also nicht überstrapaziert werden. Wird die Werbung außerdem zu häufig ausgespielt, kann dies zu Überforderung und schwindendem Kaufanreiz beim Nutzer führen. Trotz Personalisierung erreicht die Werbebotschaft den potenziellen Kunden häufig nicht mehr und Werbebudgets laufen Gefahr verschwendet zu werden.
Einige Marketer sehen den Trend im Jahr 2021 deshalb immer mehr in der Depersonalisierung: So werden Werbekampagnen beispielsweise durch A/B-Testings in personalisierter und depersonalisierter Variante für unterschiedliche Produkte und Zielgruppen ausgespielt. Doch ist die Depersonalisierungs-Strategie wirklich die Zukunft des Marketings? Wir sehen den Erfolg in der Mitte: Weder eine komplette Depersonalisierung, noch eine Hyperpersonalisierung wird langfristig funktionieren. Während einige Zielgruppen personalisierter Werbung kritisch gegenüberstehen und diese als belästigend und überfordernd wahrnehmen, führt sie bei manchen Nutzern zu einer verstärkten Kundenbindung. Unternehmen sollten deshalb nicht pauschal auf personalisierte oder nicht- personalisierte Werbung setzen – eine Mischung aus beiden Ansätzen kann in vielen Fällen zum Erfolg führen. So wird der Prozess der Personalisierung nicht überreizt, gleichzeitig aber auch keine wertvollen Potenziale verschenkt, die die Individualisierung von Werbeanzeigen bietet.
Spätestens seit Einführung der DSGVO steht der Schutz von personenbezogenen Daten und der Privatsphäre von Nutzern auch im Online-Marketing im Fokus. Nun stellen zwei der Big Player neue Lösungen vor, die die Tracking-Möglichkeiten von Werbetreibenden weiter einschränken.
Apple springt mit dem für Ende April angekündigten Betriebssystem iOS 14.5 vermehrt auf den Trend „Depersonalisierung“ auf. Zukünftig wird jeder User dann nach einer Tracking-Erlaubnis gefragt und kann selbst entscheiden, ob Apps sein Nutzungsverhalten verfolgen und Daten austauschen dürfen. Diese sogenannte „App Tracking Transparency“ kappt eine wichtige Versorgungsleitung der Werbebranche und stößt bei Wirtschaftsverbänden und Werbetreibenden auf scharfe Kritik – viele haben bereits beim Bundeskartellamt Beschwerde gegen Apple eingereicht.
Google kündigte bereits an, in rund einem Jahr alle Third Party Cookies zu blockieren und als künftige Targeting-Lösung auf die sogenannte „Google Privacy Sandbox“ setzen zu wollen: Durch ein eigenes Tool kann der Suchmaschinengigant personenbezogene Werbung viel ausgefeilter nutzen und sich einen entscheidenden Vorteil gegenüber allen anderen Marktteilnehmern verschaffen. Kritiker aus der Werbewirtschaft sehen in diesem Vorstoß seitens Google das Risiko einer Wettbewerbsverzerrung und weiteren Ausweitung der Marktmacht – unter dem Deckmantel des Privatsphäre-Schutzes. Mehrere US-Bundesstaaten haben bereits eine Wettbewerbsklage gegen den Konzern eingereicht.