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Das aktuelle Urteil des Europäischen Gerichtshofs (C-203/22) markiert eine Wende im Datenschutzrecht: Wirtschaftsauskunfteien müssen künftig offenlegen, wie ihre Bonitätsbewertungen zustande kommen. Betroffene erhalten damit nicht nur neue Informationsrechte – unvollständige Auskünfte können exekutiert werden und führen zu Schadenersatz.
Foto: ARGE DATEN - Österreichische Gesellschaft für Datenschutz
Hans G. Zeger, Obmann der ARGE DATEN - Österreichische Gesellschaft für Datenschutz
Das bislang kaum beachtete Urteil C-203/22 des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) stellt eine Zäsur im Umgang mit automatisierten Bonitätsbewertungen dar. Erstmals werden Wirtschaftsauskunftsdienste wie KSV1870, CRIF, Creditreform und Dun & Bradstreet Austria GmbH rechtlich verpflichtet, detaillierte Einblicke in ihre Bewertungsverfahren zu geben. Für Unternehmen und Privatpersonen bedeutet das mehr Transparenz – und eine neue rechtliche Basis zur Überprüfung von Bonitätswerten.
Der EuGH stellt unmissverständlich klar, dass betroffene Personen Anspruch auf präzise, transparente, verständliche und leicht zugängliche Informationen über die Verfahren und Grundsätze haben, die bei der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten zur Bildung von Bonitätsbewertungen verwendet werden.
Konkret umfasst die Auskunftspflicht:
die im Rahmen der Bildung des Bonitätsfaktors verwendeten personenbezogenen Daten (z. B. Geburtsdatum, Adresse, Geschlecht),
die mathematische Formel der Score-Berechnung,
die für die betroffene Person jeweils zugeordneten Einzelwerte,
die Bewertungsintervalle oder Kategorien (diskrete Bewertung, Index-/Katasterbewertung),
sowie die vergleichbaren Scores anderer Personen innerhalb eines definierten Zeitraums.
Hans G. Zeger, Obmann der ARGE DATEN, bringt die Tragweite des Urteils aus seiner Sicht auf den Punkt: „Bisher konnten Wirtschaftsauskunftsdienste bei den Bonitätswerten buchstäblich würfeln. Zum Schaden der Betroffenen, aber auch zum Schaden ihrer Kunden. Niemand konnte die Korrektheit der Werte prüfen. Vergleichbarkeit herzustellen ist eine echte Revolution.“
Verweigern Wirtschaftsauskunftsdienste trotz Entscheidung der Datenschutzbehörde eine vollständige Auskunft, kann diese durch die zuständigen Bezirksverwaltungsbehörden oder Magistrate exekutiert werden. Zuständig ist dabei stets jene Behörde, an deren Standort der jeweilige Auskunftsdienst seinen Sitz hat – im Fall von Dun & Bradstreet etwa die Stadt Wien.
Der Fall einer Betroffenen (CK), der ein Mobilfunkvertrag über 10 Euro wegen angeblich schlechter Bonität verweigert wurde, führte zu diesem richtungsweisenden Urteil. Trotz behördlicher Anordnung verweigerte Dun & Bradstreet Austria GmbH die nachvollziehbare Offenlegung der Bonitätsberechnung. Die Stadt Wien weigerte sich zunächst, die Exekution durchzuführen. Das EuGH-Urteil schafft nun klare rechtliche Verhältnisse.
Neben der Durchsetzbarkeit durch Behörden entsteht für Betroffene auch ein direkter Schadenersatzanspruch, wenn Auskünfte unvollständig oder intransparent bleiben. Der Oberste Gerichtshof (OGH) erkennt dabei typische immaterielle Schäden an: Kontrollverlust über persönliche Daten, Angst vor wirtschaftlichen Nachteilen oder negative emotionale Belastung durch nicht nachvollziehbare Bewertungen.
Hans G. Zeger betont: „Eine unvollständige Auskunft, bei der nicht erkennbar ist, wie ein Bonitätswert zustande gekommen ist, verunsichert Menschen massiv. Sie können nicht mehr darauf vertrauen, ungehindert am wirtschaftlichen Leben teilzunehmen.“
Das EuGH-Urteil stärkt die Rechte von Konsument:innen und Unternehmen im Umgang mit Bonitätsdaten massiv. Für Wirtschaftsauskunftsdienste wie KSV1870, CRIF, Creditreform und Dun & Bradstreet bedeutet das nicht nur Transparenzpflichten, sondern auch ein Haftungsrisiko bei unvollständigen Auskünften. Unternehmen sind gut beraten, regelmäßig Einsicht in die eigenen Bonitätswerte zu nehmen – und dabei auf vollständige, verständliche Informationen zu bestehen.
Das zugrundeliegende Urteil kann auf curia.europa.eu eingesehen werden.