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Quantencomputing treibt die Rechenleistung in ungeahnte Höhen. Praktische Anwendungen verhelfen der Technologie immer mehr zum Durchbruch.
Foto: IBM
Dario Gil, Jay Gambetta und Jerry Chow (v.l.), Forscher an IBMs Thomas J. Watson Research Center, mit dem neuen 433 Qubit-Prozessor „Osprey“
Quantencomputer sind eine der Schlüsseltheorien des 21. Jahrhunderts. Entsprechende Systeme sind in der Lage, bestimmte Probleme in der Informatik – etwa die Suche in sehr großen Datenbanken – um ein Vielfaches effizienter zu lösen, als herkömmliche Computer. Lange Zeit beherrschten Überlegungen theoretischer Natur das Feld – seit einigen Jahren investieren Forschungsorganisationen und Regierungen jedoch vermehrt in die Entwicklung der Technologie und deren praktische Anwendung.
Ein Big Player in dem Feld ist IBM. Der Technologiekonzern präsentierte 2021 einen Quantenprozessor, der über rekordverdächtige 127 Quantenbits (Qubits) verfügte – nur um auf dem heurigen IBM Quantum Summit die Latte noch einmal höher zu legen. Der neue Quantenprozessor „Osprey“ verfügt mit 433 Qubit über mehr als dreimal so viel Leistung wie das Vorgängermodell und hat damit das Potenzial, komplexe Quantenschaltungen auszuführen, die weit über das hinaus gehen, zudem heutige Computer jemals in der Lage wäre. Zur Veranschaulichung: Die Anzahl der „klassischen“ Bits, die erforderlich wären, um einen Status auf dem Osprey-Prozessor darzustellen, überschreitet die Gesamtzahl der Atome im bekannten Universum.
IBM-Forscher gehen davon aus, dass Quantensysteme bis 2025 auf über 4.000 Qubits skaliert werden können. Details dazu hat der Technologiekonzern im „Quantum System Two“ spezifiziert. Die Architektur ist modular und flexibel konzipiert und kombiniert mehrere Prozessoren mit Kommunikationsverbindungen. „Quantum System Two“ soll bis Ende 2023 online gehen und wird ein Baustein des „quantenzentrischen Supercomputing“ sein. So nennt IBM die nächste Welle im Quantencomputing, die durch den Einsatz einer modularen Architektur und Quantenkommunikation definiert ist. Quantenzentrisches Supercomputing erhöht Rechenkapazitäten und nutzt Hybrid-Cloud-Middleware, um Quanten- und klassische Workflows zu integrieren.
Praktische Anwendungsfälle für Quantentechnologie gibt es bereits heute. Bosch hat kürzlich angekündigt, dem IBM Quantum Network beizutreten. Experten beider Firmen werden zusammen mögliche Anwendungsfelder im Bereich der Materialwissenschaften erforschen. Mit seinen Aktivitäten im Bereich der Elektromobilität bringt Bosch konkrete Anwendungsfälle ein, in denen Quantenrechner bald einen entscheidenden Vorteil gegenüber konventionellen Rechnern bei der Entdeckung und Entwicklung neuer Materialien haben werden.
Die meisten Materialien für Brennstoffzellen, Batterien, elektrische Antriebe und fortgeschrittene Sensoren haben stark korrelierte Elektronen; klassische Computer können diese Materialeigenschaften nicht mit ausreichender Genauigkeit berechnen. Im Rahmen des Projekts wird erforscht, wie sich Entwicklungszeit und -kosten mit Hilfe von Quantencomputing reduzieren lassen und wie die Entdeckung neuer Materialklassen in Zukunft ermöglicht werden kann. So könnten eventuell beispielsweise verbesserte Stabilitätsdiagramme für Brennstoffzellen, verbessertes Defektengineering für die Sensorik, realistische Katalyse-- und Reaktionsgeschwindigkeiten und vorhersagbare magnetische Eigenschaften möglich werden.
Neue Materialien sind im Bereich der Elektromobilität nicht zuletzt deshalb entscheidend, weil sie eine höhere Energieeffizienz versprechen und die Verwendung natürlicher Ressourcen reduzieren. „Quantum Computing unterstützt den gezielten Einsatz von Ressourcen und kann somit ein wichtiger Baustein zur Erreichung von Klima- und Nachhaltigkeitszielen sein“, erklärt Thomas Kropf, Leiter von Bosch Research.
Das IBM Quantum Network umfasst zurzeit rund 200 Organisationen, darunter große Konzerne, Start-ups, Forschungszentren und Bildungseinrichtungen. Die Mitglieder des Netzwerks erforschen, wie Quantencomputing einer Vielzahl von Industrien und Anwendungen nutzen kann.
Auch Erste Digital, die IT-Tochter der Erste Group, stärkt aktuell ihre Kompetenz im Bereich Quantencomputing. Eine Kollaboration im Rahmen des IBM Quantum Accelerator hat zum Ziel, konkrete, für Banken relevante Quantenanwendungsfälle zu erforschen. „Quantencomputing wird vor allem bei hochkomplexen Finanztransaktionen und -prozessen eine entscheidende Rolle spielen“, sagt Dietmar Böckmann, CEO von Erste Digital. Ein Anwendungsgebiet ist unter anderem die Verbesserung der Genauigkeit und Geschwindigkeit komplexer Berechnungen, wie sie im Risikomanagement oder bei der Betrugserkennung vorkommen.
Gerade im Bankensektor ist Sicherheit von zentraler Bedeutung. Da Quantencomputer immer leistungsfähiger werden, sind sie möglicherweise bald in der Lage, heute gängige Sicherheitsstandards zu knacken. IBMs „Quantum Safe“-Technologie bietet in diesem Kontext Lösungen und Services, die vor dieser zukünftigen Bedrohung schützen. Dazu zählen unter anderem die Bereitstellung des z16 Systems mit quantensicherer Technologie und die Entwicklung von Algorithmen in Verbindung mit dem US-amerikanischen National Institute of Standards and Technology.