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Christina Wilfinger führt seit Anfang 2021 die Geschäfte von SAP Österreich. Im Gespräch erzählt die gebürtige Steirerin, wie sie die unternehmerischen Herausforderungen der Corona-Pandemie gemeistert hat, welche Maßnahmen sie beim Thema „New Work“ setzt und wieso sich Firmen öfter trauen sollten, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken.
Foto: Paul Bauer
Christina Wilfinger ist seit Anfang 2021 Geschäftsführerin von SAP Österreich
it&t business: Sie haben die Führung von SAP Österreich in einer schwierigen Phase übernommen. Wie haben Sie das letzte Jahr erlebt?
Christina Wilfinger: Hybrid Work war für uns bei SAP eigentlich nichts Neues. Natürlich haben unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den letzten zwei Jahren verstärkt das Homeoffice und flexibles Arbeiten genutzt. Wir haben aber immer die Möglichkeit offengelassen, unter Einhaltung aller Corona-Vorsichtsmaßnahmen ins Büro zu kommen. Es gab und gibt einfach viele Kolleginnen und Kollegen, die bei sich zuhause keinen eigenen Arbeitsraum haben.
Organisatorisch haben wir bei SAP die offene Unternehmenskultur schon vor Corona gelebt. Im Zuge der Pandemie haben wir „New Work“ noch einmal auch arbeitsrechtlich durchgängig geregelt. Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter hat bei uns vollkommene Flexibilität, was Arbeitszeit, Arbeitsort und Arbeitsmittel angeht – ohne Überwachung, wir arbeiten auf Vertrauensbasis. Und das funktioniert sehr gut!
it&t business: Wie hat sich das Arbeiten in Ihrem Haus unter den Vorzeichen der Corona-Pandemie verändert? Was sind die wichtigsten Learnings?
Christina Wilfinger: Was ich betonen möchte: Der persönliche Kontakt ist ungemein wichtig, um sich auszutauschen, kreativ zu sein und auch um Herausforderungen zu diskutieren. Wir möchten nicht mehr zu 100 Prozent Büro zurückkehren, aber ausschließlich im virtuellen Raum zu arbeiten, funktioniert auch nicht – der Mix macht es aus. Bei internen Umfragen haben sich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu einem großen Teil für ein hybrides Arbeitsmodell ausgesprochen. Die wenigsten wollen ein Entweder-Oder, also rein Homeoffice oder rein physische Anwesenheit. Gerade in Wissensberufen wie unseren ist „hybrid“ die Zukunft.
Wir haben letzten Herbst den „Office Day“ eingeführt, wo sich die ganze Belegschaft im Büro getroffen hat. Das klingt jetzt erst mal skurril, aber es gab sehr viele Mitarbeiter, die während der Pandemie bei SAP angefangen und seither durchgehend im Homeoffice gearbeitet haben. Sie haben ihre Teamkollegen und -kolleginnen nie persönlich getroffen, haben die typische Bürokultur nie erlebt. Das wollten wir mit dem „Office Day“ ändern. Nach einem gemeinsamen Frühstück haben sich quer durch die Stockwerke die unterschiedlichen Abteilungen vorgestellt.
Ursprünglich haben wir den „Office Day“ als einmalige Sache geplant. Das Projekt ist aber so gut angekommen, dass wir mittlerweile bereits die zweite Ausgabe veranstaltet haben, bei der diesmal die abteilungsübergreifenden Interessensgruppen im Vordergrund standen. Der Erfolg der Veranstaltung zeigt, dass das Zusammenkommen und miteinander Arbeiten unglaublich wichtig ist.
it&t business: Wie viel Vertrauen braucht Mitarbeiterführung unter den Vorzeichen von Corona?
Christina Wilfinger: Für uns war die Pandemie wie gesagt nicht so ein harter Bruch wie für andere Industrien, die traditionell in einem Onsite-Geschäft gearbeitet haben. In der Softwarebranche passiert vieles seit jeher direkt beim Kunden im Unternehmen, sodass der tagtägliche physische Austausch mit Kolleginnen und Kollegen sowieso nicht immer gegeben war. Vertrauen in die Mitarbeiter ist da seit je her zentral.
Gerade in Kundengesprächen merken wir, dass die neue Situation dort zu einem massiven Umdenken geführt hat. Im produzierenden Bereich oder auch im Handel ist hybrides Arbeiten eine riesige Herausforderung für Führungskräfte. Das Vertrauensmodell ist ein Kulturthema, das uns noch lange beschäftigen wird.
Auf der anderen Seite müssen wir uns als Gesellschaft die Frage stellen, wie wir Arbeit zukünftig messen wollen. Arbeitszeit alleine kann nicht mehr das probate Mittel sein. Am Ende des Tages kann man 9-to-5 im Büro sitzen und weniger produktiv sein als in zwei Stunden Homeoffice – oder umgekehrt. Das sind Entwicklungen, über die wir uns als Gesellschaft künftig mehr Gedanken machen und diese auch in einen rechtlichen Rahmen gießen müssen. Im Moment haben wir eine gesetzliche Arbeitszeit, diese kann mittelfristig aber nicht mehr die alleinige Basis für die Entlohnung sein – zumindest nicht für alle Berufsgruppen.
it&t business: Welche konkreten Maßnahmen setzen Sie?
Christina Wilfinger: Wir probieren viele Dinge aus, zum Beispiel Job Sharing-Modelle. In Österreich arbeiten vier Generationen bei SAP, global sind es sogar fünf. Aufgrund der demografischen Veränderung rollt eine riesige Pensionierungswelle auf uns zu. Das trifft nicht nur uns als SAP, das trifft auch viele unserer Kunden und ganze Industrien sowie die öffentliche Verwaltung.
Viele Arbeitnehmer, die sich in Richtung Pension bewegen, wollen nicht mehr fünf Tage die Woche arbeiten. Gleichzeitig ist die Erfahrung, die diese Kollegen mitbringen, eine unglaublich wertvolle Ressource. Mit dem Job Sharing-Modell stellen wir Arbeitnehmern in der Fadeout-Phase einen Berufseinsteiger oder eine Berufseinsteigerin zur Seite. Die beiden teilen sich dann die Arbeitsstelle. Das Projekt hat schon sehr erfolgreich Früchte getragen. Von den Kunden bekommen wir super Feedback. Der oder die Junge bringt frischen Wind und neue Ideen. Das, gepaart mit der Erfahrung der „Alteingesessenen“, ist optimal.
it&t business: Spüren Sie als Tech-Company den Fachkräftemangel?
Christina Wilfinger: Wir bemerken den Fachkräftemangel stark, sowohl als SAP, als auch bei unseren Kunden, die teilweise händeringend nach Leuten mit SAP-Grundkompetenz suchen. Ich spreche hier noch gar nicht von Softwareexperten, sondern von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die mit der Anwendung umgehen können. Was noch viel zu wenig nach außen getragen wird, ist, dass das spannende Jobs sind, die nichts mit nüchternem Vor-dem-Bildschirm-Kleben zu tun haben. Bei 70 Prozent aller Transaktionen weltweit ist in irgendeiner Form SAP-Software beteiligt. Ob etwas produziert wird, ob ein Krankenhausbett verwaltet wird oder eine Bürgerkarte ausgestellt wird, SAP spielt mit. Solche vielfältigen Prozesse mitzugestalten ist doch unglaublich spannend!
Grundsätzlich sollten Unternehmen sich mehr trauen, über den Tellerrand zu schauen und bei der Rekrutierung neue Wege zu gehen. Die frische Perspektive, die „fachfremde“ Kollegen mitbringen, ist unglaublich wertvoll. Bei uns im Haus gibt es zum Beispiel einen Kollegen, der ursprünglich aus der Gastronomie kommt. Er hat dort bei Cateringevents eine 400-Leute-Mannschaft organisiert – das sind die Skills, die man heute braucht. Natürlich müssen eine gewisse Technikaffinität und ein Prozessverständnis vorhanden sein, aber die technischen Details kann man On-the-Job erlernen. Viel wichtiger ist, dass jemand die richtige Einstellung mitbringt.
Ganz stark sollten wir als Gesellschaft außerdem in die Elementarpädagogik investieren. Schon in den Kindergärten müssen wir die Kinder für Technologie begeistern und neugierig darauf machen, wie Dinge funktionieren. Mittlerweile kann ein zweijähriges Kind ein iPhone bedienen. Hier muss man ansetzen und die Kinder dafür begeistern zu fragen, was steckt dahinter? Wie funktioniert das? Hier gibt es mit Low Code/No Code gute Ansätze, Ideen und Neugier zu wecken.